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Zins, Wachstumsdrang und Wachstumszwang

Im Beitrag ÜberGroßeVermögen haben wir die Problematik riesiger Vermögen aus gesellschaftspolitischer Perspektive angerissen. Hier geht es nun um die wirtschaftspolitischen Konsequenzen.

Die Dimensionen großer Vermögen sind schwer vorstellbar. Zur Veranschaulichung können wir Vermögen in Geldstapel von 50-Euro-Scheinen umrechnen. Ein solcher Schein hat eine Dicke von ca. 0,1mm.

Ein Monatseinkommen von 2000€ entspricht dann einem Stapel von 4mm Höhe bzw. Länge, ein Sparguthaben von 20.000€ wären „4cm Geld“, wer 1 Million € besitzt, kommt auf 2m. Das Vermögen der im Jahr 2021 reichsten Deutschen, Beate Heister und Karl Albrecht entspräche dann mit 80km schon drei Tagesmärschen (oder einer Stunde Autofahrt), und das von Elon Musk, des reichsten Mannes der Welt ca. 560km, also einer Tagesreise.

Erstaunlich sind auch die möglichen Erträge dieser Vermögen. Unterstellt man eine Rendite von 8%, die sich mit Unternehmensbeteiligungen durchaus über längere Zeit erzielen läßt, so beliefe sich Elon Musks Vermögenszuwachs eines Jahres auf ca. 45km – und der über 20 Jahre kumulierte Zuwachs auf über 2.500km. Details finden sich in einer Tabelle am Ende dieses Textes.

Aus Vermögen kann Ertrag (genannt Rendite) erzeugt werden. In dem Beitrag ÜberZins haben wir dargestellt, dass Vermögensbesitzer eine Rendite zur Bedingung für das Überlassen von Geld machen können. Sobald dieser Ertrag den Eigenverbrauch des Vermögensbesitzers übersteigt, vermehrt sich dessen Vermögen. Wer zum Beispiel ein Vermögen von 2 Mio. besitzt, kann daraus (konservativ gerechnet) zum Beispiel 5% Rendite erwirtschaften, also 100.000€ pro Jahr oder ca. 8.300€ pro Monat. Gibt er davon vielleicht „nur“ 5.000€ aus, entsteht im ersten Jahr ein Vermögenszuwachs von knapp 40.000€, ohne dass dieser Mensch dafür arbeiten müsste.

In einer nicht wachsenden Wirtschaft, in der die Summe des Wertes der Güter und Dienstleistungen (und der Geldmenge) konstant ist, muss dieser Betrag von den anderen Menschen aufgebracht werden.

Bei den riesigen Vermögen stellt sich diese Umverteilung nachgeradezu dramatisch dar: Legt man nur das Vermögen der 10 reichsten Deutschen in Höhe von ca. 2 Mrd. € zugrunde, so kann daraus eine Rendite von ca. 18 Mrd. € generiert werden. Man kann unterstellen, dass diese Rendite größenteils reinvestiert wird, weil selbst bei einem sehr aufwändigen Lebensstil nur kleine Teile davon tatsächlich „verkonsumiert“ werden können. Dies unterstellt, wäre bei 8% Rendite das Vermögen dieser Gruppe nach 10 Jahren auf ca. 480 Mrd. angewachsen, die Rendite betrüge dann ca. 38 Mrd. €, und nach 50 Jahren auf über 10.000 Mrd, also ca. 10 Billionen €.

In einer nicht wachsenden Volkswirtschaft würde dieses Geld den anderen Menschen entzogen. Im ersten Jahr sind das pro Person über 200€ pro Jahr, nach 10 Jahren über 450€ und nach 50 Jahren über 10.000€ pro Jahr. Details sind in der Tabelle am Ende dieses Beitrags zusammengefaßt.

Die Kapitalrendite der großen Vermögen muss von der Bevölkerung erwirtschaftet werden. Es entsteht zwangsläufig ein Geldstrom von Menschen ohne oder mit kleinem Vermögen zu den Besitzern der großen Vermögen.

Dies ist eine maximal vereinfachte Modellrechnung, die viele Einflussfaktoren außer acht lässt. Große Vermögen können zum Beispiel durch Revolutionen, Wirtschaftskrisen, Naturkatastrophen oder unternehmerische Fehlentscheidungen geschmälert oder völlig zerstört werden. Es ist aber zu beobachten, dass riesige Vermögen solche Ereignisse oft erstaunlich unbeschadet überstehen, man denke zum Beispiel an die Folgen der beiden Weltkriege in Deutschland. Davon abgesehen bilden sich auch nach größeren Umwälzungen schnell wieder neue riesige Vermögen, dann vielleicht in anderen Händen als vorher.

Die Modellrechnung zeigt auf, dass die Wirtschaft einer Gesellschaft, in der Zins&Rendite sowie große Vermögen existieren, nicht ohne permanente Expansion bestehen kann. Sie benötigt Wirtschaftswachstum, schon alleine um die Renditeansprüche der Besitzer großer Vermögen zu befriedigen.

In der Realität wird der Markt die oben skizzierte Dramatik etwas abmildern. Sobald die Knappheiten bei Rohstoffen, Energie und Deponiekapazitäten (dazu gehört auch die der Atmosphäre für CO2) beginnen, die Wachstumsdynamik zu bremsen, sinken tendenziell die Zinsen. Nullzins im privatwirtschaftlichen Geldverkehr existiert aber allenfalls bei geringen Geldbeträgen unter Freunden. Im Geschäftsverkehr werden immer Zinsen verlangt – andernfalls finden die Ausleihungen einfach nicht statt. Niedrigere Zinsen verringern das Problem und verlagern die gravierende Dynamik ein Stück in die Zukunft, gelöst wird das Problem jedoch nicht.

Lösungen

Die Abschaffung von Zins und Rendite ist keine mögliche Lösung, wir haben das in unserem Beitrag ÜberZins dargelegt.

Immerwährendes Wirtschaftswachstum ist weder möglich noch wünschenswert, siehe dazu den Beitrag ÜberWachstum. Dieser Ausweg hat die bisherige Wirtschaftsgeschichte hindurch leidlich funktioniert. Unterwegs hat er zwar in manchen Regionen durchaus Wohlstand, in anderen aber auch viel Not, Leid und Elend produziert. Seit dem 21. Jahrhundert werden die berühmten „Grenzen des Wachstums“ aber immer mehr sichtbar.

Es bleibt also nur die Lösung, die akkumulierten Kapitalerträge der großen und größten Vermögen an die Bevölkerung zurückzugeben, die sie mit ihrer Arbeit ja auch erwirtschaftet hat. Dies kann zum Beispiel durch partielle Enteignung, angemessene Besteuerung und die Einführung von Vermögensobergrenzen geschehen. Die entsprechenden Steuerungsgrößen (Steuersätze, Vermögensobergrenzen etc.) kann nur der Souverän festlegen - also das Volk; Politiker und Parlamente sind dazu viel zu sehr dem Einfluss der reichsten Menschen unterworfen. Und schließlich ist dafür zu sorgen, dass sich nicht wieder riesige Vermögen ansammeln können.

Das grundsätzliche Problem ist, dass die reichsten Menschen durch ihre demokratisch nicht legitimierte Macht über Medien und Wissenschaft die Meinung der Bevölkerung schon immer sehr wirksam beeinflussen konnten. Und schon immer taten sie dies, um eine grundlegende Problemlösung zu verhindern.

Tabelle: Vermögensumverteilungsdynamik

In den folgenden Tabellen wird die Dynamik der Vermögensumverteilung durch Rendite dargestellt, unterstellt wird eine Kapitalrendite von 8%.

1Die 10 reichsten Menschen in Deutschland
2Rendite auf Kapital: 8,00 %
3Jahr 2021 2026 2031 2036 2041
4Vermögen in Mrd.€ 2,00 330,60 485,76 1.048,72 10.552,86
5Ertrag der Vermögen (Mrd.€) p.a. 18,00 26,45 38,86 83,90 844,23
6Einkommensverlust in Mrd.€ bei der Gesamtbevölkerung 8,4 20,9 65,9 826,2
7Einkommensverlust in € pro Einwohner und Jahr 101,8 1,3 793,9 9.954,6
1Die 100 reichsten Menschen in Deutschland
2Rendite auf Kapital: 8,00 %
3Jahr 2021 2026 2031 2036 2041
4Vermögen in Mrd.€ 722,00 1.060,85 1.558,74 3.365,21 33.862,96
5Ertrag der Vermögen (Mrd.€) p.a. 57,76 84,87 124,70 269,22 2.709,04
6Einkommensverlust in Mrd.€ bei der Gesamtbevölkerung 27,1 66,9 211,5 2.651,3
7Einkommensverlust in € pro Einwohner und Jahr 326,6 806,5 2.547,7 31.943,1